Ich möchte versuchen, Ihnen heute zu erklären, wie sich meine Behinderung anfühlt. Es ist nicht leicht, denn dabei muss ich mich zunächst fragen, wie sich die "Nichtbehinderung" anfühlt. Wie fühlt es sich an, sich nicht so zu fühlen wie ich mich fühle? Dabei geht es mir nicht darum, Mitleid zu erzeugen oder gar erst zum Leben zu erwecken oder "Ich-will-endlich-verstanden-werden"-Motive zu verfolgen, sondern ... Vielleicht tue ich es für mich. Ich schreibe es für die, die sich das schon immer gefragt haben.
Gestern habe ich ein tolles Theaterstück gesehen und konnte es nicht so recht zum Ausdruck bringen, außer ganz begeistert "Wow!" zu sagen und dabei so zu tun, als würde ich mir die Hände wundklatschen. Denn inzwischen weiß ich, wenn alle anfangen vor Begeisterung zu klatschen, wird der Geräuschpegel durch mein Mitklatschen weder erhöht noch anders verändert. Es ist wie in einem Stummfilm: Man sieht zwar die (Klatsch-)Bewegungen, aber man hört keinen Ton. Warum das Klatschen geräuschlos bleibt? Die nötige Kraft für den wiederholten Händeaufschlag fehlt. Egal, ich klatsche trotzdem vor Begeisterung mit - dass man das nicht hört, hört in dem Moment ja keiner. Klatschspiele mit meiner kleinen Schwester vermeide ich dennoch.
Wenn die Kälte kommt
Als ob das mit dem lautlosen Klatschen, der schnellen Heiserkeit und der schwachen Bauchmuskulatur, die beim Husten kaum hilfreich ist, nicht ausreicht, ist in wenigen Wochen auch noch Weihnachten! Wäre es in Australien, hätte ich nichts dagegen, aber hier ... es ist kalt. Zu kalt! Die Kälte macht alles schlimm: Die Muskeln fühlen sich wie eingefroren an. Die Bewegungen laufen nicht mehr so geschmeidig ab, alles dauert viel länger. Und jede Bewegung erzeugt "Wind", durch den es noch kälter wird. Freunde sagen: "Beweg' dich doch mal! Spann deine Muskeln an, beweg' die Hände und die Füße!" Liebe Freunde, das bringt mir absolut nichts. Wie gesagt, es erzeugt imaginären Wind, und bestenfalls werden die Muskeln durch die kleinen Aktivitäten so müde, dass dann noch weniger Bewegung möglich ist.
Wie Gewichte an jedem Körperteil
Immer wenn ich sage, ich hätte furchtbaren Muskelkater, fängt mindestens einer in der Runde an laut zu lachen und sagt: "Klar, weil du auch sooo viele Muskeln hast!" Lustig. Das Phänomen kann ich nicht erklären, aber meine Schultern (und auch andere Körperstellen) sind so sehr verspannt, dass man meinen könnte, ich wäre den ganzen Tag gelaufen ... Naja, fast. Da reicht meistens das Fahren über den Kopfsteinpflaster, um am nächsten Tag höllische Kopfschmerzen zu haben.
Vielleicht kann man Muskelschwund in einem kurzen Satz so beschreiben: Es ist, als würden Gewichte auf jedem Körperteil liegen, gegen die man stündlich entweder kämpft oder sie manchmal als Schmuck empfindet. Die Gewichte, meine ich.
Und doch: Ist es nicht egal? Du Mensch. Ich Mensch. Früher Affen.
Linktipps:
Fehlende Erfahrungen. Ein Blogbeitrag von Anastasia Umrik über ihren Wunsch nach mehr körperlichen Erfahrungen
Down Under - Steht alles auf dem Kopf? Ein Blogbeitrag von Petra Strack über ihr Auslandssemester in Australien
Einmal nichts Besonderes sein. Ein Blogbeitrag von Margit Glasow über das Gemeinschaftsgefühl bei Treffen von Selbsthilfegruppen
(Autor: Anastasia Umrik)