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Die Freiheit des Alltags

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Ali Shallal Abbas zeigt seine Fotos

Das Behandlungszentrum für Folteropfer und die Stiftung Überleben in Berlin unterstützen Menschen, die sich ein Leben aufbauen müssen. Für manche ist es das erste, für andere das zweite Leben. Die ZDF-Sendung "Menschen. Das Magazin" zeigt ein beeindruckendes Beispiel.

Die Spuren der Gewalt sind nicht zu übersehen. Am Bein, an der Hand, am Hals. Sie geben mehr als eine Ahnung von den Narben im Innern. Nicht nur einmal musste Ali Shallas Abbas Folter ertragen. Schon die Schergen Saddam Husseins quälten ihn. Der Lohn für seinen Kampf gegen den Diktator war Abu Ghraib. Das US-Gefängnis im Irak, das zum Symbol dafür wurde, welche Mittel auch die Soldaten einer demokratischen Großmacht im Krieg anwenden. Schmerzen und Demütigung.

Zwei Mal gefoltert

Und doch, vom Ende her betrachtet, war Abu Ghraib so etwas wie ein Glücksfall für den Islamgelehrten Ali Shallal Abbas. Dass er ein Gewaltopfer ist, zweifelte niemand mehr an. Die Vereinten Nationen holten ihn aus dem Irak, brachten ihn zuerst nach Jordanien, und 2009 kam er nach Deutschland. Der Anfang seines neuen Lebens, sagt er. Abbas hat dieses Leben in Berlin festgehalten. Er war eines von acht Folteropfern, die am Projekt "Narben der Gewalt" teilnahmen. Das Berliner Behandlungszentrum für Folteropfer (bzfo) gab den Männern, die aus Armenien, Syrien, Kamerun, Georgien, dem Kosovo und dem Irak stammen, die Chance dazu. Gelegenheit, Zeichen der Freiheit zu dokumentieren, die auf hier aufgewachsene Menschen alltäglich wirken. Eine Szene im Park, ein Denkmal, eine Familie, ein Verkehrsschild. Wer die Geschichte dahinter kennt, sieht diese Bilder anders. Das ZDF zeigt sie in seiner Dokumentation "Narben der Gewalt" am Samstag, 20. April, in der Sendung "Menschen. Das Magazin" um 17.45 Uhr.

"Ich bin ein Berliner"

Heute sagt Ali Shallal Abbas: "Ich bin ein Berliner. Ich bin zwei Mal geboren." Es sind die inneren Wunden, die oft schwerer zu heilen sind als die äußeren. Ali Shallal Abbas hat in Berlin ein friedliches Leben gefunden. Er hatte von Anfang an einen gesicherten Aufenthaltsstatus in Deutschland. Das Berliner bzfo könnte zehn Mal so vielen Menschen wie ihm helfen, wenn nicht rechtliche Hindernisse im Weg stünden. Viele Folteropfer leben als Asylbewerber in anderen Bundesländern und haben dort Residenzpflicht. Die Beratung und Unterstützung beim bzfo kostet aber natürlich auch Geld. Geld, das öffentliche Stellen beim Bund oder der EU mal gewähren - und mal nicht. Die Aktion Mensch fördert das Zentrum gerade zum dritten Mal. Nach zwei Programmen für jugendliche Flüchtlinge geht es diesmal um junge Menschen mit Migrationshintergrund, die zum größten Teil schon in Deutschland geboren sind. Integration und Chancengerechtigkeit bedeutet das noch lange nicht.

Abgetaucht

Ausgrenzung unter den Ausgegrenzten, das ist so ein Thema. Im aktuell von der Aktion Mensch geförderten Projekt drehen acht junge Migranten einen Film, der sich damit auseinandersetzt. Da ist Ismet (Name geändert), der Probleme mit seinen Kumpels hat, weil er auch einen Jungen aus einer Roma-Familie seinen Freund nennt. Ismet, so erzählt Projektleiter Boris Friele, soll in einem Film die Hauptrolle spielen. "Er ist ein toller Schauspieler, aber ein anderer hänselt ihn: 'Spiel du den Rom, du siehst schon so aus!'" Plötzlich ist Ismet verschwunden, abgetaucht, nicht zu erreichen. Die Rolle muss neu besetzt werden, da ist Ismet auf einmal wieder da. Er hat Angst, aber er will die Chance nicht loslassen und übernimmt zumindest eine Nebenrolle. Nach einigen Wochen stellt sich etwas ein, was Friele und seine Kollegin Mervete Bobaj sich wünschen. So etwas wie Teamgeist. Ein Gefühl dafür, dass es nur zusammen funktioniert. Und ein Stück Selbstbewusstsein, dessen Fehlen sonst gern mit Coolnessüberspielt wird. Ich kann was. Ich kann wirklich was, dann muss ich vielleicht nicht mehr so tun, als könnte ich alles. Darum geht es bei dem Film und in den anderen Gruppen, die mit den Mitteln der Medien- und Theaterpädagogik arbeiten.

Wie Wasser und Brot

Die Teilnehmer an dem Filmprojekt sind alle zwischen 17 und 20. Sie waren schon früher in der Beratung beim Zentrum für Flüchtlingshilfe und Migrationsdienste, das vom bzfo getragen wird und das das aktuelle Programm durchführt. Schulprobleme, kein Glück mit einem Ausbildungsplatz, Stress in der Familie, das ist das Gewohnte. "Immer im Bereich der Überforderung", sagt der Projektleiter.
In dem Gesamtprojekt mit dem Titel "Kultur von und mit uns", das die Aktion Mensch mit rund 190.000 Euro unterstützt, gibt es auch die Idee einer Berlin-Safari. "Viele kommen nie aus ihrem Kiez raus, die könnten dadurch erst ihre Stadt kennenlernen", erzählt Friele. Die acht jungen Filmemacher haben diese Gelegenheit schon. Sie drehen in einem Restaurant in Spandau, in einer Privatwohnung in Charlottenburg. Solche Orte werden dann Teil der Welt, die sie erleben. Einer größeren Welt.
Wenn der Film fertig ist, soll er in einem Kino gezeigt werden. Öffentlich, vor möglichst großem Publikum, was Anerkennung bedeutet. Etwas, das Jugendliche wie Ismet brauchen wie Wasser und Brot.


Linktipps:
Das Berliner Behandlungszentrum für Folteropfer
Die Stiftung Überleben für Folteropfer in Berlin
Die Sendung "Menschen. Das Magazin" im ZDF
Die Förderprogramme der Aktion Mensch

(Autor: Werner Grosch)


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