"Inklusion braucht Fragen" heißt die aktuelle Kampagne der Aktion Mensch zum Thema Inklusion. Die Aktion FrageZeichen, die Teil der Kampagne ist, macht deutlich, dass noch vieles unklar und deshalb fragwürdig ist im Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung. Aber Inklusion braucht nicht nur Theorie, nicht nur Fragen und Antworten, sondern auch Menschen. Menschen wie Philip R. und dessen Bandkollegen Christian F. Oder Melissa W. Sie sind die Protagonisten der aktuellen Inklusionskampagne. Denn schließlich geht es bei Inklusion um das Zusammenleben von Menschen in unterschiedlichen Lebensbereichen.
Philip und Melissa sind keine Werbemodels, sondern "echte" Menschen. Sie wollen nichts verkaufen, sondern zeigen uns, was Inklusion im Alltag bedeuten kann. "Wie viel Rock 'n' Roll geht mit Behinderung?" steht auf dem Kampagnenmotiv, das Philip beim Auftritt mit seiner "Band "Station 17"" zeigt. "Kommt man auch mit Gehhilfe die Karriereleiter hoch?" lautet die Frage auf dem Motiv mit Melissa an ihrem Arbeitsplatz. Wir wollten wissen, was Philip und Melissa selbst zu diesen Fragen und zum Thema Inklusion zu sagen haben:
Philip R. ist Keyboarder und Komponist bei der Hamburger Band"Station 17". Pro Jahr absolviert der 28-Jährige mit seinen elf Bandkollegen bis zu 80 Auftritte in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Christian F. ist sein Bandkollege.
Philip, wie gefällt Ihnen Ihr Leben als Berufsmusiker?
Philip: Musik machen, auch schreiben, viel proben bis zum nächsten Auftritt. Das ist meine Arbeit, das ist mein Job. Herrlich!
Und was ist Ihre Aufgabe, Christian?
Christian: Ich bin Musiker und Produzent von Station 17. Philip und ich haben uns vor acht Jahren kennengelernt. Philip hat hier in der Barner (Anmerkung der Redaktion: ein inklusives Netzwerk von Künstlern mit und ohne Behinderung) seine Ausbildung angefangen als Musiker und Tänzer. Danach ist er übernommen und angestellt worden. Unser Job ist es, von 10 Uhr bis 16 Uhr hier Musik zu produzieren, für Auftritte zu proben. Wir machen unser Merchandising, die Videos und die Organisation unserer Tour selbst. Der Anspruch ist, professionell als Künstler zu arbeiten.
Wenn Sie Songs zusammen machen, bringt aber jeder etwas ein, oder?
Philip: Ja. Genau.
Christian: Ja, das ist ganz wichtig, davon lebt ja auch die Band. Es ist immer der Chef, der gerade irgendwie im Mittelpunkt steht und irgendwie ein Solo oder eine Melodie spielt.
Philip, wo leben Sie im Moment? Bei Ihrer Mutter?
Philip: Ja. Immer noch.
Wollen Sie denn irgendwann ausziehen?
Philip: Ja, demnächst. Ich weiß noch nicht, wann.
Was - außer Musik - machen Sie noch gerne?
Philip: Ich mache Sport. Schwimmen, Hockey, Fußball, ein bisschen Bootfahren, Paddeln und Drachen steigen lassen.
Und was ist Ihre Lieblingsmusik?
Philip: Ich liebe Musical und Techno und ein bisschen Rock und Jazz. Klassik auch. Klavierunterricht am Dienstag mit dem Jan. Ich spiele Bach gerne und Mozart.
Melissa W. ist 22 Jahre alt und kommt aus Niedersachsen. Trotz mancher Widerstände hat sie ihren Realschulabschluss und soeben auch erfolgreich ihre Ausbildung zur Bürokauffrau beendet.
Melissa, wie haben Sie Ihren Ausbildungsplatz gefunden?
Melissa: Erst habe ich ein Praktikum gemacht beim Deutschen Roten Kreuz. Das hat mir gut gefallen. Ich kann ja nicht jeden Beruf ausüben, sondern nur Tätigkeiten, bei denen ich nicht so viel laufen und stehen muss. Dann habe ich dort eine Ausbildung begonnen und dabei die einzelnen Abteilungen durchlaufen.
Und wie war das, wenn Sie Unterstützung brauchten, etwa, wenn Sie einen Ordner aus einem oberen Regal nehmen mussten?
Melissa: Ich habe einfach eine Kollegin oder einen Kollegen gefragt. Es gab auch eine besondere Kollegin, sozusagen meine Mentorin. Wenn es während der Ausbildung irgendwelche Probleme gab, konnte ich zu ihr gehen und sie um Hilfe bitten. Ich wollte keine Extrawurst, man sollte mit mir so normal wie möglich umgehen. Aber natürlich bin ich viel auf Hilfe und Verständnis angewiesen. Ja, also es ist nicht immer leicht. Ich muss mich immer viel durchsetzen, weil es oft heißt, dass ich mich hinter meiner Krankheit verstecken würde.
Hat sich in den drei Jahren bei der Haltung der Kollegen Ihnen gegenüber etwas verändert?
Melissa: Sie konnten mit der Zeit ganz anders auf mich eingehen, dachten nicht mehr groß darüber nach, sondern machten es einfach. Es ist ganz wichtig, dass man den anderen besser kennenlernt und nicht gleich von Anfang an sagt: "Der hat diese Einschränkung und kann das nicht", oder: "Mit dem will ich nichts zu tun haben." Das ist immer der falsche Weg. Wenn man abblockt, kann eine Zusammenarbeit sehr schwierig werden.
Würden Sie sagen, Sie können alles erreichen?
Melissa: Also man kann die Karriereleiter auch im Rollstuhl hochkommen, vorausgesetzt, dass sich das Umfeld auf einen einstellt. Gut, es gibt immer Leute, die sagen: "Nein danke, das wollen wir nicht." Aber wenn Menschen hinter einem stehen und sagen: "Das schaffst Du. Du hast was drauf", dann sind keine Grenzen gesetzt. Man muss einfach nur Mut haben, sein Bestes geben und hoffen, dass die Mitmenschen mitziehen.
Dies sind Auszüge aus den Interviews mit Philip R. und Melissa W. Längere Versionen der Interviews und den Link zu den Filmen mit Philip und Melissa finden Sie hier.
(Autor: Ulrich Steilen)