Zum Aktionstag 5. Mai und anlässlich des 28. Hannoverschen Selbsthilfetages lud die Kontakt-, Informations- und Beratungsstelle im Selbsthilfebereich (KIBIS) zu einer Diskussion darüber ein, wie es um die Inklusion in den Medien steht.
Am Samstag in der Fußgängerzone von Hannover: Es herrscht reges Treiben, ganz Hannover scheint zum Einkaufsbummel unterwegs zu sein. Um den zentralen Platz Kröpcke sind ungefähr 40 Stände von verschiedenen Selbsthilfe-Gruppen aufgebaut, mitten auf dem Platz eine Bühne. Auf ihr wird am frühen Nachmittag über Inklusion in den Medien gesprochen. Rund 20 Personen haben sich vor der Bühne eingefunden: auf sechs Bierbänken oder in ihren Rollstühlen sitzend.
Immer gleiche Bilder, gleiche Sprache
Als Einstieg trägt die Bloggerin und Poetry-Slammerin Ninia Binias, die sich als Künstlerin Ninia LaGrande nennt, einen Text vor. Es geht um die Fernsehsendung "Die große Welt der kleinen Menschen", die vor zwei Jahren auf SAT.1 lief, und sich in vier Folgen mit dem Alltag von kleinwüchsigen Menschen beschäftigte. Völlig unpassend, wie Binias findet. Wieder ging es darum, wo man nicht rankommt oder raufklettern muss und dann die Begeisterung darüber, wie toll es doch ist, dass man das macht, obwohl man kleiner ist. Positive Diskriminierung findet sie unerträglich. Und dazu die gleichen Bilder in den Medien, beschwert sie sich in dem Text, die immer gleiche Sprache, wenn es um kleinwüchsige Menschen oder Menschen mit Behinderung geht. "Retortenscheiß", sagt sie dazu. Sie mag sie nicht mehr hören, die typischen Floskeln über Menschen, die an Rollstühle "gefesselt" sind, Dinge "trotz ihrer Behinderung" tun oder eben ganz toll ihr "Schicksal meistern".
Auf der Bühne
Neben Ninia Binias sitzen außerdem auf der Bühne: die Sozialpädagogin Anja Schneider vom Bundesverband behinderter und chronisch kranker Eltern e. V., Raul Krauthausen von Sozialhelden e. V. und Marion Koch, die Mutter von Schauspieler Samuel Koch. Kerstin Blochberger vom Selbstbestimmt Leben Hannover e. V. moderiert die Runde und bedauert, dass keine Vertreter von Tageszeitungen oder Fernsehen der Einladung aufs Podium gefolgt sind - obwohl gerade sie viel beitragen und von den anderen Diskussionsteilnehmern lernen könnten.
Erfahrungen mit den Medien
"Welche Erfahrung haben Sie bisher mit den Medien gemacht?", fragt Blochberger in die Runde. Überraschenderweise sind die überwiegend positiv. "Aber ich bin sowieso vorsichtig", sagt Anja Schneider und berichtet, dass sie Texte immer vor der Veröffentlichung liest. Erst vor kurzem habe sie in einem das Wort "Pfleger" durch "Assistent" austauschen lassen. "Den Einwand der Redaktion, dass die Leser das nicht verstehen, habe ich nicht gelten lassen", so Schneider. "Das müssen sie ihnen schon zutrauen." Raul Krauthausen betont, dass er sowieso nur mit öffentlich-rechtlichen Sendern zusammenarbeitet und erzählt, dass ihm aber aufgefallen sei, dass die meisten Journalisten bei der Berichterstattung über Menschen mit Behinderungen selbst unsicher seien. "Darum haben wir Leidmedien gegründet", sagt er. "Als Hilfe für sie." Marion Koch findet problematisch, dass ihr Sohn oft als Vorbildfunktion in den Medien auftaucht. "Das ist anderen Leute gegenüber unfair", sagt sie. "Denn sie sind in einer ganz anderen Situation." Ninia Binias spricht von "gemischten Erfahrungen", erwähnt aber, dass sie sich Texte vorher nicht zuschicken lasse. "Ich möchte, dass die Journalisten das selbst richtig machen", sagt sie.
Neue Themen finden
In einem sind sich alle Teilnehmer einig: Sehr viel tun müsse sich noch bei den Themenfeldern, in denen Menschen mit Behinderung auftauchen: Ninia Binias möchte, dass Menschen mit Behinderung in den Medien in ganz normalen Geschichten auftauchen. "Ich will keine positive Diskriminierung", sagt sie. Marion Koch meint dazu, dass sich ihr Sohn wünsche, nicht nur der zu sein, der bei "Wetten dass?" einen Unfall hatte, sondern als Schauspieler gesehen zu werden. Sie erzählt, von seinem Studium und wie er bereits vor dem Unfall zu Hause Shakespeare vorgetragen habe. Raul Krauthausen kritisiert, dass die deutschen Medien über Menschen mit Behinderung lediglich mit einem Fokus auf Krankheit und Hilfsbedürftigkeit berichteten. Das sei in den skandinavischen Ländern oder Großbritannien anders. "Dort gehören Behinderungen einfach zu einer gesunden Gesellschaft dazu", sagt er. Doch er sieht auch die Menschen selbst in der Verantwortung, um in den Medien aufzutauchen. "Es ist wichtig, eine schöne Geschichten zu haben", sagt er. "Die Medien kommen nur, wenn die Geschichte interessant ist."
Linktipps:
Leidmedien.de - ein Streifzug durch die behindernde Sprache. Ein Blogbeitrag von Katja Hanke über eine Lesung von Lilian Masuhr und Ninia Binias in Berlin
Klischees wett kämpfen. Ein Blogbeitrag von Raúl Krauthausen über das gesteigerte mediale Interesse an den Paralympics und Klischees in der Berichterstattung
Normalität in Film und Fernsehen. Ein Blogbeitrag von Carina Kühne über Menschen mit Behinderung in den Medien
Zwischen Wolfsmädchen und Dschungelcamp. Ein Blogbeitrag von Raúl Krauthausen über moderne "Freakshows" in den Medien
(Autor: Katja Hanke)