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Von Null auf Hundert

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Eine Gruppe junger Männer in Fußballtrikots guckt eingehakt in die Kamera

Selten dürfte es ein Fußballteam von der Gründung bis zur EM in nur einem halben Jahr geschafft haben. Dieses Kunststück ist der deutschen "CP-Nationalmannschaft" gelungen. "CP" steht für Cerebral Parese, eine Hirnschädigung, die sich auf die Motorik auswirkt. Am 20. Juli ist Anpfiff in Portugal. Das Team ist schon jetzt bis in die Haarspitzen motiviert.

Kevin Wermeester, Frederic Heinze und ein Dutzend Teamkollegen jagen über den Platz, dribbeln, passen, köpfen. Ungewohnt ist nur das Spielfeld. Es ist kleiner als die DFB-Norm, die Tore haben E-Jugend-Maße, und es stehen nur 14 Mann auf dem Platz. Geschuldet ist das einer verringerten Koordination und Kraftentwicklung der Spieler, die erst auf den zweiten Blick erkennbar ist.

Die Kicker haben sich erst Anfang 2014 offiziell zur CP-Nationalmannschaft formiert, aber bereits die ersten Trainingslager absolviert. Der 22-jährige Frederic Heinze erklärt: "Wir sind zwar über ganz Deutschland verstreut und haben uns noch nicht oft gesehen, aber auch in der kurzen Zeit sind wir schon zu einem Team zusammengewachsen." Zeit verlieren will keiner der Spieler: Schon am 20. Juli beginnt die CP-Fußball-EM in Portugal (CP-ISRA).

Einfach nur dabei gewesen zu sein, wäre den Kickern zu wenig. Sie wollen zumindest einen der vorderen Plätze holen. Für Kevin Wermeester, den 28-jährigen Kapitän der Mannschaft, ist klar: "Wir machen die Reise nicht nur zum Zugucken. Auf jeden Fall soll die Qualifikation zur WM dabei rauskommen." Sein Ehrgeiz hat den Technischen Zeichner 2010 schon als Skifahrer zu den Paralympics nach Vancouver geführt. Fußball spielt er, solange er denken kann. Er trainiert auch die E-Jugend in seinem Heimatverein, den DJK Arminia Eilendorf.

Der 15-köpfige Kader wurde vom Deutschen Behindertensportverband (DBS) zusammengetrommelt. Thomas Pfannkuch ist der Cheftrainer des neuen Teams und gehört zum Betreuerteam, das die Mannschaft zur EM begleitet. Der frühere Fußballprofi, der heute als Sportmanager und Dozent arbeitet, erzählt: "Endlich haben wir genügend Spieler zusammen, um im Training zwei komplette CP-Mannschaften gegeneinander antreten zu lassen. Andere Länder haben ein paar Jahre Vorsprung, aber bei der EM zeigen wir schon einmal: Uns gibt es jetzt auch!"

Frederic Heinze hofft, dass die CP-Nationalmannschaft auch den ganz normalen Vereinssport dafür sensibilisiert, dass Menschen mit CP Leistung bringen können: "Mir ist es wichtig, weiter als Stammspieler bei Fortuna Emsdetten aufzulaufen, so wie ich es immer getan habe. Ich hatte nie einen Sonderstatus und wollte auch keinen. Das war das beste Training überhaupt." So geht es auch Kevin Wermeester, der immer schon ganz selbstverständlich bei DJK Arminia Eilendorf trainierte: "Was die anderen an Technik voraus haben, muss ich eben mit Leidenschaft und Ausdauer ausgleichen."

Thomas Pfannkuch hofft, dass die Gründung der Nationalmannschaft der Startschuss dafür sein wird, dass das Potenzial von Fußballspielern, die eine Cerebral Parese haben, endlich gehoben wird: "Viele unserer Spieler trainieren ganz normal im Vereinssport mit. Daran soll sich auch nichts ändern. Aber sie wollen auch die Möglichkeit haben, ihre Leistung unter Beweis zu stellen und sich zu messen. Das ist in den Vereins-Kadern oft nicht möglich. Die Gründung der Nationalmannschaft ist deshalb ein ganz wichtiger Schritt."

Der Trainer hat zusätzlich vor ein paar Jahren die ehrenamtlichen "Sportfreunde Braunschweig" mit ins Leben gerufen. Einmal die Woche trainiert dort die Fußball-AG, in der Kinder und Jugendliche mit ganz unterschiedlichen Behinderungen spielen. Im Gegensatz zur CP-Mannschaft geht es hier ganz klar vor allem um Spaß, nicht um Leistung.

Weitere Infos gibt es auf http://www.dbs-npc.de.

(Autor: Henrik Flor)


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