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Jobsuche als blinder Akademiker: Ein Erfahrungsbericht

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Ein Kugelschreiber liegt auf einem Bewerbungsanschreiben

Heiko Kunert berichtet über seinen beschwerlichen Weg auf den ersten Arbeitsmarkt.

"Warum wollen Sie denn Politikwissenschaften studieren? Damit bekommen Sie als Blinder doch keine Arbeit. Studieren Sie besser Jura."

Diesen Rat eines Arbeitsamt-Mitarbeiters zum Ende meiner Schulzeit habe ich nicht beherzigt. Mich interessierte Politikwissenschaft. Ich wollte studieren, was mich beschäftigte und was mir inhaltlich lag.

Dennoch musste ich manches Mal an diesen Rat zurückdenken, als mein Studium erfolgreich mit einem Diplom abgeschlossen war. Während viele meiner Kommilitoninnen und Kommilitonen schon während des Studiums reichlich Berufserfahrung gesammelt hatten, war mir genau nur ein zweimonatiges Praktikum vergönnt. Und das auch nur, weil zu jener Zeit die Stiftung für Blinde und Sehbehinderte in Frankfurt am Main ein Programm für blinde und sehbehinderte Studierende aufgelegt hatte, das öffentlich gefördert wurde. Hierüber fand ich einen Platz in der PR-Abteilung einer Hamburger Unternehmensberatung.

Wie viele meiner Mitstudierenden wollte auch ich zunächst im Medien- oder PR-Bereich arbeiten. Aber wie?

"Können Sie erst mal ein unbezahltes Praktikum bei uns machen?", hörte ich immer wieder.

Für ein solches Praktikum wollte mir aber kein Kostenträger eine Hilfsmittelausstattung zahlen. Als blinder Mensch bin ich auf einen Screenreader, eine Sprachausgabe und eine Braillezeile angewiesen. Die werden in der Regel aber nur dann von Integrationsämtern, Arbeitsagenturen oder der Rentenversicherung finanziert, wenn ein regulärer Arbeitsvertrag besteht. Einfach mal in den Job reinschnuppern ist für blinde Menschen schwierig.

Wie also den PR-Job finden?

Vielleicht wieder über die Stiftung in Frankfurt. Bot diese doch eine zweijährige Ausbildung zum PR-Berater an. Keine Chance. Der Grund: Bei dieser Ausbildung handelt es sich um eine berufliche Rehabilitationsmaßnahme. Und die wird unmittelbar nach einem Studium nicht finanziert.

Während von Arbeitnehmern eigentlich erwartet wird, dass sie möglichst wenige Lücken im Lebenslauf haben sollten, wurde mir diese Lücke behördlich verordnet.

"Suchen Sie erst mal selbst nach einer Arbeit. Wenn das nichts wird, können wir vielleicht die Reha-Maßnahme bezahlen", hieß es.

Es wurde nichts. Ein Jahr lang Bewerbungen schreiben, Ablehnungen oder gleich gar keine Antworten erhalten, Jobben in einem Dunkelrestaurant. Ich kenne viele blinde Akademiker, denen es so ergeht wie mir damals.

Amtlich verordnete Umwege

Nach einem Jahr stand ich also wieder bei der Arbeitsagentur auf der Matte.

Nach allerlei Gesprächen und vielen Formularen kam folgender Satz: "Bevor wir Ihnen das bewilligen können, müssen Sie aber erst mal zu unserem Psychologen." Die alltägliche Diskriminierung ging also weiter.

Selbst der Psychologe der Arbeitsagentur konnte inhaltlich nicht nachvollziehen, warum ich zu ihm geschickt wurde. "Das ist halt obligatorisch", sagte er. Also durfte ich kleine Plastikförmchen sortieren - Dreiecke zu Dreiecken, Kreise zu Kreisen, Vierecke zu Vierecken. Und der Psychologe beobachtete, ob mich das überforderte. "Ich muss begutachten, ob Sie einem Acht-Stunden-Arbeitstag gewachsen sind", erläuterte er mir.

Anscheinend traute er mir das zu und schrieb mir ein wohlwollendes Gutachten. Die Arbeitsagentur finanzierte mir die berufliche Reha, ich lernte in Frankfurt PR-Theorie, machte beim Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg mein Praktikum und wurde danach übernommen.

Der Weg war zwar steinig, aber am Ende immerhin erfolgreich. Viele andere blinde Akademiker kriegen nie die Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt, trotz Fachkräftemangels. Leider fehlt es bis heute immer noch viel zu häufig an Offenheit von Arbeitgeber-Seite und an Flexibilität bei den Kostenträgern.

(Autor: Heiko Kunert)


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