Wer von Zukunft spricht, meint Veränderung. Wohnen, Arbeit, Mobilität, die Art und Weise, wie wir kommunizieren: Nichts bleibt, wie es ist! Dabei wünschen wir, dass unser Lebensumfeld immer besser und angenehmer wird. Je einfacher, zugänglicher und barrierefreier unsere Welt gestaltet ist, desto freier und selbstbestimmter können wir uns in ihr bewegen.
„Selbstbestimmtes Leben in sozialen Räumen und Beziehungen“ heißt eines der Schwerpunktthemen beim Zukunftskongress „Inklusion 2025“ am 2. und 3. Dezember in Berlin. Echte Inklusion ist ohne eine selbstbestimmte Lebensführung undenkbar. Aber: Selbstbestimmt Leben, wie geht das? Und was versteht man unter „sozialen Räumen und Beziehungen“?
Nur wer die Wahl hat, kann selbst entscheiden
„Selbstbestimmtes Leben“ bedeutet, dass Menschen selbst entscheiden können, wo und mit wem sie wohnen, arbeiten und ihre Freizeit verbringen wollen. Dabei ist es wichtig, die Wahl zwischen Alternativen zu haben. Selbstbestimmt leben heißt aber auch, dass Menschen mit Behinderung nicht nur mitreden dürfen, wenn es um ihre Interessen geht, sondern dass sie selbst entscheiden. „Nichts über uns ohne uns“, lautet hier die Devise.
Selbstbestimmt zu leben, ist ein Menschenrecht. Gerade deshalb legt die UN-Behindertenrechtskonvention so großen Wert darauf. Besonders Artikel 19 des Übereinkommens betont das Recht auf eine „unabhängige Lebensführung“ und die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
Alles für alle zugänglich machen
Gesellschaftliches Leben findet dort statt, wo Menschen in ihrer Stadt oder Gemeinde zusammenkommen. Barrierefreiheit ist hier die Grundvoraussetzung für Inklusion. Noch viel zu oft verhindern Barrieren aber, dass öffentliche und soziale Räume für Menschen mit Behinderung ohne fremde Hilfe nutzbar sind.
Wie muss öffentlicher Raum in Stadt und Gemeinde zukünftig gestaltet sein, damit alles für alle zugänglich ist? Wie können Menschen mit Behinderung an örtlichen Planungsprozessen einbezogen werden? Diesen und anderen Fragen geht der Zukunftskongress nach und versucht, innovative Ideen zu entwickeln.
Interview mit Barbara Vieweg
Im Vorfeld des zweitägigen Treffens habe ich mit Barbara Vieweg gesprochen. Sie ist Projektkoordinatorin bei der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V. (ISL). Frau Vieweg nimmt am Kongress-Workshop„Wie selbstbestimmt können wir zukünftig leben?“ teil und hält dort einen Kurzvortrag zum Thema „Empowerment“.
Frau Vieweg, was bedeutet „Selbstbestimmtes Leben“ aus Ihrer Sicht?
Barbara Vieweg: Selbstbestimmtes Leben heißt, akzeptable Wahlmöglichkeiten in der Gesellschaft zu haben. Sowohl was die eigene Lebensweise betrifft, als auch bei der Unterstützung, die man braucht. Sodass man beispielsweise in Hinblick auf Assistenz sagen kann: „Diese Art der Dienstleistung passt am besten zu meinem Lebensalltag.“ Das bedeutet letztlich, dass Menschen mit Behinderung genauso gleichberechtigt leben können wie alle anderen auch.
Stichwort Empowerment: Wie können Menschen mit Behinderung zur selbstbestimmten Lebensgestaltung ermutigt und befähigt werden?
Wir (die ISL) bieten zurzeit bundesweit Empowerment-Trainings an. Es geht dabei vor allem darum, dass sich Menschen mit Behinderung ihrer eigenen Kraft und ihrer Einflussmöglichkeiten bewusst werden. Gleichzeitig erfahren sie, welche Rechte sie einfordern können. Wir sagen immer: „Selbstbestimmt leben, gib dich nicht mit weniger zufrieden!“
Wo sehen Sie Gefahren für die „Selbstbestimmung“?
Die Gefahr liegt in der ständigen Kostendebatte und in dem Versuch, immer wieder Geld einzusparen. Außerdem werden Entscheidungen zu oft von Verantwortlichen getroffen, die die Lebensrealität behinderter Menschen gar nicht kennen. Dadurch laufen wir Gefahr, dass Inklusion ausgehöhlt wird.
Welche Rahmenbedingungen müssen sich ändern, damit Menschen mit Behinderung im Jahr 2025 mit größerer Selbstverständlichkeit als heute den eigenen Lebensplan selbst entwerfen können?
Ein wichtiger Punkt ist, dass sie sich nicht länger einem diskriminierenden Bedarfsfeststellungsverfahren unterziehen müssen, wenn sie Unterstützung benötigen. Oft wird – ausgesprochen oder unausgesprochen – unterstellt, dass man zu viel will und damit der Gesellschaft auf der Tasche liegt. Im Jahr 2025 – und ich hoffe bereits viel früher – sollte es offene Feststellungsverfahren auf Augenhöhe geben. Außerdem sollte es zukünftig viel mehr ambulante Dienstleister geben, damit Menschen mit Behinderung wählen können, welche Form für sie passt. Und natürlich der ganz wichtige Punkt: Leistungen dürfen nicht länger vom eigenen Einkommen und Vermögen abhängig sein. Bisher ist es ja so, dass jemand, der berufstätig ist, ein Großteil seines Einkommens für die eigene Assistenz ausgeben muss.
Linktipps:
Alle Infos zum Zukunftskongress „Inklusion 2025“
Zukunftskongress „Inklusion 2025“: Thema „Selbstbestimmtes Leben in sozialen Räumen und Beziehungen“
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(Ulrich Steilen)