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Begegnung im Dunkeln

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Ein kaum erleuchtetes REstaurant von außen, über der Tür ein großes Schild mit der Aufschrift "unsicht-Bar Deutschland erstes Dunkelrestaurant"

Ein Abend in der Unsicht-Bar

Mein Gegenüber ist nervös, unsicher, hat Angst, sein Weinglas umzustoßen. Mein Gegenüber weiß nicht, ob er als Nächstes ein Stück Fleisch, eine Kartoffelscheibe oder ein Salatblatt auf der Gabel hat – oder gar nichts. Mein Gegenüber ist es gewohnt, Restaurant und Essen mit den Augen zu betrachten. Hier gibt es diese Routine nicht.

Wir sind in der Unsicht-Bar in Hamburg, einem Dunkelrestaurant. Während für mich als blinder Mensch dieser Restaurantbesuch so ist wie jeder andere, ist es für sehende Besucherinnen und Besucher aufregend.

Arbeitgeber für Menschen mit Behinderung

Blinde oder sehbehinderte Mitarbeiter führen die Gäste in einen vollkommen lichtlosen Raum und bedienen sie am Tisch. Somit schafft die Unsicht-Bar nicht nur eine besondere Erfahrung für ihre Gäste, sondern ist zudem Arbeitgeber für Menschen mit einer Behinderung.

Ich selbst habe nach meinem Studium ein Dreivierteljahr hier gekellnert. Immer wieder erlebte ich, wie meine sehenden Gäste ganz still wurden, als ich sie ins Dunkel führte, dass ihre Hände auf meiner Schulter schwer wurden, sie sich duckten, weil sie befürchteten sich den Kopf zu stoßen. Ich nahm die Nervosität wahr, aber auch die Erleichterung der Gäste, als sie ihren Sitzplatz gefunden hatten und die Erfolgserlebnisse, wenn sie sich eigenständig ein Glas Bier einschenkten ohne den Tisch zu fluten oder mit dem Tischnachbarn erfolgreich anstießen. Und ich erlebte, wie die Gäste spürbar lockerer wurden und sich im Laufe des Abends mehr auf die verbliebenen Sinne konzentrierten: auf Geräusche, Gerüche, auf den Geschmack der Speisen.

Man kommt ins Gespräch

So kamen wildfremde Menschen miteinander ins Gespräch. Tischnachbarn, die sich noch nie gesehen hatten und sich auch nie sehen würden, unterhielten sich vollkommen unverkrampft. Das Taxieren von Kleidung, Aussehen und Mimik fiel weg und wurde durch das gesprochene Wort, Lachen oder Berührungen ersetzt.

In den Gesprächen mit Gästen ging es um meinen Alltag als blinder Mensch und um die Motive der Besucher für ihren besonderen Restaurantbesuch. Die Einen kamen im Rahmen eines Betriebsausflugs, andere waren frisch verliebt und wollten einen unvergesslichen Abend erleben, wieder andere waren nur widerwillig dabei, weil ein Angehöriger unbedingt mal hier her wollte. Aber fast alle sagten mir zum Abschied – wieder im Hellen –, dass sie den Abend sehr genossen hatten und um eine wertvolle Erfahrung reicher seien.

 

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Infos und Reservierung unter: www.unsicht-bar-hamburg.de

Weitere Unsicht-Bar-Restaurants gibt es in Köln und Berlin.

 

 

 

Linktipps:

Plötzlich blind! Ulrich Steilen über die Stadtführung „Blindwalk“, bei der Sehende mit verbundenen Augen Köln erkunden

Kunst für alle: Auch Hände können sehen. Heiko Kunert über einen Künstler, dessen Kunst blinde und sehende Menschen zusammenzubringt

Blind wohnen: Über Füße im Futter und verschollene Korkenzieher. Heiko Kunert über den ganz normalen Alltag von blinden Menschen

(Heiko Kunert)


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