Morgens um halb zehn geht es los. Dann versammeln sich die 60 freiwilligen Helfer der „Stadtranderholung“ in der Euregio Gesamtschule in Rheine. Wenig später fahren schon die Autos vor, die die 100 Teilnehmer bringen. Es sind Kinder, Jugendliche und Erwachsene zwischen 6 und 66 Jahren die mit ganz unterschiedlichen Behinderungen leben. Zwei Wochen lang erleben sie zusammen mit dem Team ein buntes, aber entspanntes Programm, das ganz anders aussieht als der Alltag in Schule, Werkstatt oder Einrichtung. Für die Eltern ist es eine wichtige Entlastung und oft die einzige Möglichkeit, sechs Wochen Sommerferien mit dem Job zu vereinbaren. Jede „Stadtranderholung“, die der „Club Behinderter und ihrer Freunde im Kreis Steinfurt und Umgebung e.V.“ (CeBeeF) organisiert, steht unter einem Motto. In diesem Sommer wird es das „CeBeeF-Musikfestival – Musik liegt in der Luft“ sein.
Aktionen in der Stadt, für die Stadt
Alia Bouzari, die seit 2010 jedes Jahr dabei ist, erklärt das Prinzip: „Teilnehmer und Freiwillige sind in zehn Gruppen eingeteilt. Wir versuchen so, die verschiedenen Altersgruppen zu bündeln. Viele Aktionen, wie ein Besuch im Zoo oder Eis essen, werden mit der Gruppe gemacht.“ Auch auf dem Schulgelände gibt es zahllose Möglichkeiten zu spielen, zu toben, einander kennenzulernen und Freundschaften jenseits des alltäglichen Umfelds zu schließen. Jede Gruppe hat zudem die Aufgabe, einen Teil des Ferien-Mottos zu gestalten. Die einen basteln Instrumente und musizieren damit, andere tanzen nach Musik und führen etwas auf. Am letzten Tag sind alle Rheinenser eingeladen, einen Rundgang über das Festivalgelände (Schulhof) zu machen.
Wo Eltern Initiative zeigen
Alia hatte zum ersten Mal in der Schule von dem Projekt erfahren. Damals kam eine der Organisatorinnen vom CeBeeF in ihre Schule und hat für das Projekt geworben. Sie wusste damals schon, dass sie später im sozialen Bereich arbeiten möchte, und war froh über die Gelegenheit, vorab schon mal Praxisluft zu schnuppern. Inzwischen studiert sie Gerontologie in Vechta.
Der CeBeeF ist seit 1977 als klassische Elterninitiative aktiv. Damals gab es noch sehr viel weniger Einrichtungen oder Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung als heute. Also haben es die Eltern selbst in die Hand genommen. Das Ergebnis kann man jeden Sommer in der Euregio Gesamtschule in Rheine besichtigen.
Der Kick fürs Selbstbewusstsein
Für Alia Bouzari war die erste Stadtranderholung ein Sprung ins kalte Wasser. Sie hatte vorher kaum Kontakt zu Menschen mit Behinderungen. Aber schon im Vorbereitungskurs lernte sie, was beim Vorlagenwechsel zu beachten ist oder probierte aus, wie es ist, wenn man selbst in einem Rollstuhl sitzt. Sie erinnert sich: „Pflegerische Dinge haben mir auch am Anfang nichts ausgemacht. Im Gegenteil, ich war stolz, dass ich es auf Anhieb konnte. Inzwischen weiß ich auch, was zu tun ist, wenn zum Beispiel jemand einen Krampfanfall hat.“ Das ist nicht nur gut für ihre spätere Arbeit, sondern auch für das Selbstbewusstsein.
Inklusion bedeutet, dass jeder Mensch nach seinen individuellen Möglichkeiten selbstbestimmt leben und am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann. Dieses selbstverständliche Miteinander erreichen wir nur, wenn sich möglichst viele Menschen für eine inklusive Gesellschaft einsetzen und sie mitgestalten – zum Beispiel durch freiwilliges Engagement. Die Aktion Mensch bietet mit ihrer Freiwilligen-Datenbank einen Überblick über die zahlreichen Möglichkeiten: Menschen mit und ohne Behinderung können aus mehr als 13.000 Angeboten das passende Engagement auswählen.
Weitere Ideen für inklusives Engagement finden Sie in der Freiwilligen-Datenbank.
(Henrik Flor)